Christiane Pabst und das Wörterbuch: „Die Sprache ist ein Spiegel“

Christiane M. Pabst beim 70-jährigen Jubiläum des ÖWB.  |  ÖBV/Division 4
Die St. Pöltnerin Christiane M. Pabst ist Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs. Ein Gespräch über Veränderungen der Sprache, das Gendern, sekundären Analphabetismus und ein Wörterbuch für Emoji-Definitionen.

NÖN: Was waren für Sie die spannendsten Fehleinschätzungen, die Menschen über Ihren Beruf hatten?

Christiane M. Pabst: Eine sehr erheiternde Fehleinschätzung ist, dass wir das Österreichische Wörterbuch einfach nachdrucken können, weil man eh nix dran ändern muss. Viele Menschen glauben auch, dass ein Wörterbuch ein reines Nachschlagewerk für Fragestellungen zur Rechtschreibung ist. Das stimmt überhaupt nicht.

Was ist das Österreichische Wörterbuch (ÖWB) denn noch alles, außer ein Nachschlagewerk?

Pabst: Ein Wörterbuch soll Klarheit über die Bedeutung von Wörtern schaffen. Das ÖWB legt außerdem den österreichischen Standard fest. Daneben gibt es zum Beispiel einen Grammatikteil, es gibt einen Teil zu sprachsensiblen Formulierungen, es gibt viele Tabellen – etwa zu Kfz-Kennzeichen oder zu Titeln in Österreich. Also es ist sehr viel umfangreicher, als man denken würde. Das wissen leider auch viele Lehrerinnen und Lehrer nicht, dass man das Wörterbuch im Unterricht noch viel breiter einsetzen könnte. Ich bin auch stolz darauf, dass wir in der letzten Ausgabe die Markierungen deutlich erweitert haben. Die zeigen unter anderem an, ob ein Wort jugendsprachlich ist, ob es abwertend ist oder diskriminierend.

Warum sehen Sie gerade bei diskriminierenden Worten diese Markierungen als wichtig an?

Pabst: Es wird uns immer wieder vorgeworfen, dass auch sehr rassistische, sexistische oder abwertende Wörter überhaupt im Wörterbuch stehen. Nur die Sache ist die – diese Wörter existieren. Und wenn jetzt beispielsweise ein Mensch, der Deutsch als Zweitsprache hat, einen Text liest, dann muss er wissen, mit welchen Wörtern er es zu tun hat. Darum stehen auch solche Begriffe im Wörterbuch. Sie sind aber entsprechend markiert, damit man auch gleich weiß, dass ein Text, in dem solche Worte vorkommen, beispielsweise als rassistisch oder frauenfeindlich eingeschätzt werden kann.

Sprache und sprachliche Veränderungen sind ja für viele Menschen oft ein sehr emotionales Thema. Was glauben Sie, woran liegt das?

Pabst: Es gibt nichts Identitätsstiftenderes als die eigene Muttersprache. Und wenns um die eigene Identität geht, ist man natürlich emotional. Außerdem drückt Sprache ja auch die Geisteshaltung aus und da gerät man sich dann auch oft in die Haare. Ein solches Thema ist ja das Gendern, wo sich dann der sehr konservative Teil und der progressivere Teil der Sprachgemeinschaft bekriegen. Was Sprache auch emotional macht: Sie ist ein Spiegel der Gesellschaft, und diesen Spiegel will man selten vors Gesicht gehalten bekommen.

Sprache zeigt halt die Veränderungen in der Gesellschaft. Das muss man einfach ein bisschen gelassener sehen.

Sie haben das Thema Gendern angesprochen. Wie stehen Sie dazu, dass in vielen Medien auf gendersensible Sprache geachtet wird?

Pabst: Für mich haben die Medien da die schwierigste Aufgabe. Es ist nämlich schon ihre Aufgabe, alle Menschen der Gesellschaft gleichermaßen und respektvoll anzusprechen. Gleichzeitig werden aber in der Gesellschaft noch nicht alle gleichermaßen respektvoll behandelt. Und zwar nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern auch beispielsweise aufgrund ihrer Ethnie. Dadurch findet sich auch noch keine einheitliche, sprachliche Form dafür. Aber genau deswegen ist es wichtig, dass Medien bei diesem Thema sensibel sind und Wege finden.

Generell verändert sich Sprache stetig, manche befürchten, dass dabei dann alte österreichische Eigenheiten verloren gehen. Was denken Sie dazu?

Pabst: Natürlich, aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen ergibt es sich, dass wir mehr Anglizismen im Deutschen haben oder auch Einflüsse aus anderen Sprachen. Es wird auch immer das große Dialektsterben befürchtet, daran glaube ich aber nicht. Insgesamt verändert sich die Sprache, aber ich finde es verfehlt, dabei dann so „sprachpolizeilich“ zu sein. Die Sprache zeigt halt die Veränderungen in der Gesellschaft, das ist schon immer so gewesen. Das muss man einfach ein bisschen gelassener sehen.

Stichwort Veränderung: Ab wann kommen neue Worte ins Wörterbuch? Also was muss passieren, damit ein Wort, das neu auftaucht, seinen Weg ins ÖWB findet?

Pabst: Also es gibt zum einen Wörter, die gleich in so hoher Frequenz vorkommen, dass es ganz klar ist, dass die auch ins Wörterbuch gehören. Gerade in der Corona-Pandemie gab es da ganz viele Wörter, wie zum Beispiel den „Mund-Nasen-Schutz“. Auf der anderen Seite gibt es auch Wörter, die landen zunächst auf einer Beobachtungsliste. Da arbeiten wir dann mit der Akademie der Wissenschaft zusammen, und beobachten über einen längeren Zeitraum das Vorkommen dieser Wörter. Ein Beispiel dafür war der „Blutmond“.

Sind Sie auch privat hellhörig, wenn Sie neue Worte hören oder sprachliche Veränderungen merken?

Pabst: Ja natürlich. Das ist eine Berufskrankheit. Auch wenn ich Nachrichten schaue, dann zücke ich oft den Kugelschreiber und schreib‘ mir was auf.
Gibt es auch Menschen, die auf Sie zukommen und Ihnen Wörter fürs Wörterbuch vorschlagen?
Pabst: Es gibt immer wieder Menschen, die mir oder dem Verlag schreiben. Die senden uns dann interessante Wörter oder erklären uns, wo wir noch an Bedeutungen feilen könnten. Vor kurzem war ich zum Beispiel in Kontakt mit einem Professor von der Technischen Universität. Der hat mir dann Begriffe aus dem Hoch- und Tiefbau erklärt. Also das kann sehr wertvoll sein, und da sind wir auch immer sehr dankbar.

Es wird oft davon gesprochen, dass Menschen immer schlechter lesen und schreiben könnten. Dafür wird auch sozialen Medien die Schuld gegeben. Aber lesen und schreiben wir heutzutage nicht sogar mehr, durch Facebook, WhatsApp und Co.?

Pabst: Da gibt es schon einige Studien dazu, dass die Lesefähigkeit tatsächlich abnimmt und dass auch der sekundäre Analphabetismus zunimmt. Das heißt, dass Menschen in der Schule lesen gelernt haben, es aber so wenig angewendet haben, dass sie dann Texte nicht mehr verstehen können. Sie können dann zwar die Worte verstehen, aber den Gesamtinhalt nicht. Das steht auch nicht im Widerspruch dazu, dass wir uns in den sozialen Medien sehr viel schriftlich austauschen. Denn diese kurzen Formen, die wir da verwenden, das ist eigentlich gesprochene Sprache in geschriebener Form. Da brauche ich keine Kompetenz im Textzusammenhang, die ich beispielsweise bei Zeitungsartikeln sehr wohl brauche.

Zum Schluss noch eine vielleicht etwas humoristische Frage: Emojis sind ja mittlerweile weit verbreitet, gleichzeitig gibt es dabei aber auch immer wieder Missverständnisse über ihre Bedeutungen. Braucht es auch für Emojis Definitionen im Wörterbuch?

Pabst: Das ist ehrlich gesagt gar nicht so humoristisch. Darüber habe ich tatsächlich schon mit einem Kollegen aus der Redaktion gesprochen, da die Emoji-Nutzung ja regelrecht explodiert ist. Ich finde das auch gut, ich verwende sie selbst auch gerne. Sie decken ganz andere Bereiche der Kommunikation ab, die man mit Worten oft nicht ausdrücken kann. Wenn man sie richtig einsetzt, sind sie eine Bereicherung unserer Kommunikation. Darum wären Emoji-Definitionen eigentlich eine sehr nützliche Ergänzung zum Österreichischen Wörterbuch, gerade in der Online-Version.